
Die Junge Welt dokumentiert einen Brief Burkhard Garwegs an Caroline Braunmühl. Die Tochter des 1986 von der Roten Armee Fraktion (RAF) erschossenen Diplomaten Gerold von Braunmühl hatte im Januar 2025 auf eine Stellungnahme des ehemaligen RAF-Militanten zur Verhaftung Daniela Klettes (Taz, 21.12.2024) reagiert. Darin distanzierte sie sich von Äußerungen ihres Bruders Patrick und anderer Angehöriger von RAF-Opfern, die die Attentate der RAF entpolitisierten und lediglich aus einer strafrechtlichen Perspektive betrachteten. Obwohl sie um ihren Vater trauere, erkenne sie an, dass die Motivation der RAF »radikale(r) Widerstand gegen soziale Ungleichheit, Ausbeutung und Unterdrückung« gewesen sei (ND, 17.1.2025). Garweg antwortete darauf öffentlich und kritisierte die Geschichte der RAF, die sich nach dem sogenannten Deutschen Herbst 1977 zu sehr auf eine militärische Konfrontation eingelassen und sozialrevolutionäre Kämpfe vernachlässigt habe (ND, 24.3.2025). Eine Reaktion Braunmühls darauf erschien in Analyse & Kritik (AK, 20.5.2025). (jW)
Liebe Caroline,
ich habe mich sehr über Deinen Brief im AK des 20.5.25 gefreut.
Dein Leben, wie Du schreibst, ist durch das Attentat der RAF auf Deinen Vater mit dieser verbunden.
Es stellen sich Fragen nach dem Sinn oder der Legitimation solcher »Akte des Äußersten« als Teil einer politischen Geschichte und als Teil eines Revolutionsversuches. Es ergeben sich Fragen nach einer politischen Erklärung und historischen Einordnung.
Ich finde es bemerkenswert und interessant, dass Wera Figner, eine Sozialrevolutionärin aus Russland, die 1881 am Attentat auf den Zaren beteiligt war, bereits 1922 zum Teil ähnliche Fragen, wie die, mit denen wir uns auseinandersetzen, thematisierte. So sagt sie über ihre Zeit: »Der Terror (was in der heutigen Begrifflichkeit in einem emanzipatorischen Kontext dem militanten oder bewaffneten Kampf entsprechen würde, B. G.) war niemals ihr Selbstzweck. Es war ein Mittel der Verteidigung, des Selbstschutzes, mächtiges Instrument der Agitation, und wurde nur angewandt, wenn organisatorische Ziele erreicht werden sollten, (…) die alleine eine Umwälzung zwecks Übergabe der Macht an das Volk ermöglichen sollten. Im Herbst 1881 wurde die Zarentötung zu einer Notwendigkeit, zu einer brennenden Tagesfrage (…) Es gab einigen von uns den Anlass, Zarenmord und terroristische Tätigkeit fälschlich für unseren wesentlichen Programmpunkt zu halten.«
Revolutionär*innen setzen sich seit mindestens 130 Jahren mit zum Teil gleichen Fragen, die sich in ihrem Kampf ergeben hatten, auseinander. Destruktive Entwicklungen, die sich im Kampf der RAF ergaben, sind gewissermaßen ein alter Hut.
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